12. HERBSTAKADEMIE
SELBSTORGANISATION IN DEN SOZIAL- UND ORGANISATIONSWISSENSCHAFTEN, Universität Jena 4.-6.10.2004

- Abstracts -


C. Albani and T. Villmann

Relevance Learning in Self-Organized Artificial Neuronal Networks for Optimal Classification and Decision Rules

In this contribution we offer a new approach for generating optimal classifier systems. Usually objects to be classified have a lot of parameters. For instance, medical databases contain a large number of values for each patient. However, for a given medical question only a few of them may be relevant for the classification of the patients. To detect these relevant parameters several statistical tools were developed, but most of them are linear systems. Hence, the optimal Bayesian decision may not be obtained. Artificial neural network offer an alternative approach being non-linear, robust and adaptive. Here we focus on a special type based on self-organizing vector quantizers. During the adaptation process of the network, the system minimizes a cost function and results a maximizing margin classifier in the Bayesian sense from which a decision system may easily be derived. We show that the system is able to parallely detect the relevant input parameter for a given classification of a parametrized object set (patient database). We demonstrate the power of the method for classification of psychotherapy patients according their main diagnosis, whereby the input values describing the patients are according SCL-90-R, which is a standard diagnostic tool in psychotherapy.
 

B. Bergmann, A. Gumz and T. Villmann

The Therapeutic Process as a Dynamic System? Description in Terms of Psychophysiological Variability

In the present study we offer new results in understanding the therapeutic process asa dynamic system. Thereby, we focus on the analysis of patterns of variability ofpsychophysiological values (including heart rate, muscle tension, skin conductance and other), which can be related to the ability of emotional variability. These patterns are complex and describe the psychophysiological states at time. We measured the the respective values in time intervals of 30s during single therapeutic sessions for both therapist and patient. Then, the psychophysiological variability of a single session is estimated by evaluation of the probability density of the patterns by means of the entropy. To detect phase transitions during the whole therapy, the probability densities obtained for the several sessions are investigated by means of entropy and Kullback-Leibler-Divergence. We show that the entropy as a measure of psychophysiological variability can be taken as an ‘energy’ of the dynamic system decscribed by psychophysiological reactions in our investigation. The relation to emotional states is shown using an text analyzer for emotional reflections, the socalledCycle-Model developed by Mergenthaler The investigations are presented for two single courses of psycho-dynamic therapies.


Ewald Johannes Brunner

Hochschulreform als Selbstorganisationsprozess

Die Dynamik von Veränderungsprozessen, in die größere Bevölkerungsgruppen und verschiedenste Akteure involviert sind, kann mit Gewinn aus der Perspektive der Selbstorganisationstheorie betrachtet werden. Das aktuelle Beispiel der sogenannten Rechtschreibreform zeigt, dass die Vorstellung, eine einzelne Behörde (z.B. die Kultusmininsterkonferenz) könne von sich aus als Ordnungsparameter dienen, zu kurz gegriffen ist. Wie aber können dann Veränderungsprozesse in solchen komplexen sozialen Systemen vonstatten gehen?

Diese Frage soll am Beispiel der notwendig gewordenen Hochschulreformen (z.B. an der Einführung der neu zu konzipierenden konsekutiven BA/MA-Studiengänge) diskutiert werden. Aus der Perspektive der Selbstorganisationstheorie sind hierbei einerseits die Rahmenbedingungen (als Kontrollparameter) zu beachten; andererseits aber auch die instabil gewordenen inneruniversitäten Ordnungsstrukturen. Den Beteiligten am Reformprozess kommt dabei insofern eine Schlüsselrolle zu, als sie mit ihren Handlungen bzw. Handlungs-entwürfen, Erwartungen, Plänen, Vorstellungen, etc. die Dynamik der Veränderung "anheizen". Der Selbstorganisationsprozess kann zwar ansatzweise "gelenkt" werden (in der kritischen Phase der langsamer werdenden Fluktuationen), aber nur im Rahmen der Attraktoren, die das System selbst hervorbringt.


Jonas Buchli

Multi-Skalen Dynamische Systeme für Anwendungen in der Robotik

Nichtlineare Dynamische Systeme sind ein interessanter Ansatz für die Erzeugung von Trajektorien für Roboter mit vielen Freiheitsgraden (z.B. Fortbewegung mit Beinen). Die Entwicklung von Nichtlinearen Dynamischen Systemen, die eine gegebene Spezifikation und ein spezielles Ziel erfüllen, ist jedoch nicht einfach. Bisher gibt es keine einheitliche Vorgehensweise um ein solches Problem anzugehen.

Die Natur präsentiert uns gut funktionierende Lösungen zur Koordination von vielen Freiheitsgraden. Eine zentrale Eigenschaft, die in Lebewesen beobachtet wird, ist die Fähigkeit, die Freiheitsgrade flexibel zu funktionellen Einheiten zusammenzufügen, um sich ändernden Bedürfnissen anzupassen.

Während der letzten drei Jahrzehnte wurde ein enormer Fortschritt in der Beschreibung der Koordination von Bewegungsabläufen mit Hilfe von Synergetischen Ansätzen erzielt. Dies hat zu der Formulierung der "Theorie der Dynamischen Muster" (Theory of Dynamic Patterns) geführt. Diese Theorie ist strikt mathematisch und gleichzeitig direkt anwendbar auf Experimente. Hingegen bietet sie keinen Leitfaden für synthetische Ansätze, wie sie für die Entwicklung von Robotern mit vielen Freiheitsgraden nötig sind. In diesem Beitrag werden wir zeigen, wie sich die Theorie der Dynamischen Muster für synthetische Ansätze zur Kontrolle solcher Roboter anwenden lässt. Zu diesem Zweck schlagen wir den Gebrauch von Multi-Skalen Dynamischen Systemen vor.

Wir werden die Grundidee der Multi-Skalen Dynamischen Systeme erklären und deren Anwendung anhand einfacher Beispiele zeigen. Konkret werden wir die Idee anhand eines auf nichtlinearen Oszillatoren basierenden, einfachen, mustererzeugenden Systems (Pattern Generator) illustrieren. Das mustererzeugende System dient dazu, das Koordinationsmuster für die Fortbewegung eines einfachen mechanischen Systems zu erzeugen. Dann zeigen wir, wie der existierende Ansatz erweitert werden kann um das manuelle Einstellen von Parametern zu vermeiden und wie die Anpassung an variierende Umgebungsbedingungen erreicht werden kann. Wir diskutieren die Vor- und Nachteile von Multi-Skalen Dynamischen Systemen im Vergleich mit anderen Ansätzen für adaptive Systeme. Zuletzt besprechen wir Probleme, die in Zukunft angegangen werden müssen.



Hans H. Diebner

Antizipationsbasierte Strategien in soziobiologischen Simulationen

Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Lorenzstr. 19, 76135 Karlsruhe

Ausgehend von Überlegungen und Erkenntnissen aus Kognitionsstudien und der Soziobiologie, die antizipatorisches Verhalten als mächtige Strategie ergaben, statten wir Individuen von agentenbasierten Simulationen mit einem "Simulus" aus, um verschiedene antizipatorische Strategien zu testen. Man kommt bei solchen Studien zur Erkenntnis, dass man immer nur das eigene Vorwissen abbildet, dieses durch die Auseinandersetzung mit dem Modell aktualisiert und wieder in die Simulation zurückfließen lässt. Dieser hermeneutische Metaprozess selbst entzieht sich aber einer Operationalisierbarkeit. Ganz klar liegt im Prozess der Auseinandersetzung mit dem Modell ein Zuwachs an Erkenntis. Die Frage ist, ob sich dieser Prozess optimieren läßt? Wir propagieren eine Umstrukturierung der Forschung im Bereich der Soziologie, Soziobiologie, bzw. in Selbstorganisationstheorien zu einer "distribuierten Forschung", die versucht, auch den Laien in den Forschungsprozess mit einzubeziehen. Beispielsweise könnte man durch ein Eingabe-Interface im Internet jedem User einen simulierten Agenten als Stellvertreter zuordnen, der seine/ihre Strategie in die Simulation trägt. Genau genommen gibt es hierzu sogar Beispiele, nur sind diese vermutlich noch nicht systematisiert und unter dem Gesichtspunkt einer "Hyper-Forschung" (in Anlehnung an den Begriff des Hyper-Computings so benannt) diskutiert worden.



Heiko Eckert und Günter Schiepek

Management komplexer Systeme

Eine wesentliche Aufgabe des Managements besteht darin, Bedingungen für selbstorganisierende Prozesse in Organisationen herzustellen. Dabei kommt es darauf an, eine Balance zwischen Stabilität und Instabilität, Produktivität und Innovation zu finden. Vorgestellt werden zwei hierfür nützliche Gestaltungsebenen, wobei vor allem das Management von Instabilität auf eine datenbasierte Rückmeldung über die aktuell ablaufenden Prozesse angewiesen ist. Vorgestellt wird ein hierfür geeignetes Instrumentarium. Dass die auf der Grundlage entsprechender Daten ablaufenden Entscheidungsprozesse aber dennoch Emotionen und Wertungen einschließen, wird anhand einer empirischen fMRT-Studie gezeigt.



John Erpenbeck & Andrea Scharnhorst

Modellierung von Kompetenzen als Selbstorganisationsdispositionen

Lernprozesse sind in unterschiedlicher Weise in nichtlinearen Modellen und Simulationen abgebildet worden. Die Rolle von Kompetenzen in Prozessen des selbstorganizierten Lernens hat dabei bisher wenig Berücksichtigung gefunden. In diesem Vortrag spannen wir eine Brücke zwischen empirischer Kompetenzbeobachtung und Kompetenzmessung und der mathematischen Modellierung von Kompetenzen in einem Evolutionsprozess.

Wir beschreiben Lernen als Positionsveränderung in einem Merkmalsraum (Problemraum) analog zu einem evolutionären Suchprozess in einer Fitnesslandschaft. Kompetenzen steuern bestimmte Mechanismen in diesem Suchprozess. Wir entwickeln Szenarien für den Einfluss verschiedener Kompetenzen in unterschiedlichen Lernsituationen. Anhand von Simulationen diskutieren wir die Rolle von gruppendynamischen Interaktionen und indivudellem Lernverhalten auf den Problemlösungsprozess in einer Gruppe.



Hermann Haken

Synergetik in den Organisationswissenschaften

Seit ihrer Begründung vor mehr als 30 Jahren ausgehend von der Physik hat die Synergetik in immer mehr Wissenschaftszweigen Eingang gefunden. Nachdem sie erhebliche Beachtung in der Psychologie und Psychotherapie gefunden hat, hat sie sich seit einiger Zeit auch den Organisationswissenschaften zugewendet. Thema sind hierbei: flache Hierarchien und Selbstorganisation. Im Vortrag werden die von der Synergetik entwickelten Prinzipien selbstorganisierender Systeme anhand konkreter Beispiele erörtert. Hierzu gehören: Ordner, Versklavung, Instabilität, indirekte Steuerung usw. Hierbei ergeben sich neue Einsichten in das Funktionieren von Organisationen und insbesondere deren effiziente Steuerung.



Annette Hohenberger

Modularität und Selbst-Organisation in der Sprache

Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften Arbeitsbereich Psychologie, München

Sprache ist modular, d.h. sie besteht aus voneinander unabhängigen, aber miteinander kommunizierenden Ebenen der Verarbeitung und Repräsentation (Phonologie, Morphologie, Lexikon, Syntax). Aus der Sicht selbst-organisierender Systeme ist Modularität in der Sprache keine Ausgangsbedingung, sondern vielmehr Ergebnis des Spracherwerbs bzw. der Sprachverarbeitung. Sprachliche Struktur entsteht in der Zeit durch Verarbeitung und Erwerb. Dabei bilden sich hierarchische, rekursive Repräsentationen aus, die durch Beschränkungen der Ressourcen des Gehirns wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit sowie durch Ökonomie/Ökologie der Repräsentation bedingt sind. So ist es ökonomischer, zunächst auf ein Wort als Ganzes lexikalisch zuzugreifen, bevor seine morphologische und phonologische Feinstruktur entfaltet wird. In einer empirischen Studie zur Größe der Berechnungsfenster in der Sprachproduktion konnten wir zeigen, dass gemäß der Kapazität des Arbeitsgedächtnisses auf drei modularen Ebenen der Verarbeitung (Lexikon, Morphologie, Phonologie) jeweils ca. 6 Elemente gleichzeitig berechnet werden können. Verarbeitung unter der Bedingung beschränkter Ressourcen wirkt strukturbildend, indem sie das System zur Abkapselung einer beschränkten Menge an Information auf verschiedenen hierarchischen Ebenen zwingt, die dann unabhängig voneinander und mit einem jeweils eigenen Verarbeitungsvokabular arbeiten. Modulare und hierarchische Strukturen sind insofern emergent. Sie entstehen durch Selbst-Organisation.



Jürgen Kriz

Die Selbstorganisation von Bedeutungsfeldern

Nach einer kurzen Einführung in die zentralen Konzepte synergetischer Ordnungsbildung wird es darum gehen, die Beziehung von makroskopischen Feldern und mikroskopischen Teildynamiken am Beispiel von Bedeutungsbildung zu erörtern. "Bedeutung" selbst stellt wiederum eine Schnittstelle zwischen Prozessen im Individum und in den interpersonellen Interaktionen dar. In sofern ist die Selbstorganisation von Bedeutungsfeldern ein zentrales Beispiel für die Thematik der diesjährigen Herbstakademie: Soziale Prozesse müssen immer durch das "Nadelöhr" individuellen Verstehens und damit persönlicher Sinndeutungen gehen; diese sind aber, andersherum, in soziale Deutungsmuster eingebettet. Gerade die Synergetik mit ihren Konzepten, die immer schon die Beziehungen zwischen Makro- und Mikro-Prozessen - bzw. zwischen Feldern und den von ihnen bestimmten Dynamiken - ins Zentrum der Theorienbildung stellte, kann diese zirkuläre Kausalität angemessen beschreiben.



Zeno Kupper, Christoph Glasmacher & Wolfgang Tschacher

Soziophysiologische Synchronisation in der psychotherapeutischen Dyade?

Abteilung Klinische Psychologie und Rehabilitative Psychiatrie Universitäre Psychiatrische Dienste Bern (UPD)

Soziale Interaktion ist ein zentrales Element der Psychotherapie. Die quantitative Mikroanalyse der Dynamik sozialer Interaktionen hat sich in verschiedenen psychologischen Bereichen (u.a. Mutter-Kind Interaktion, Paarinteraktionen) als fruchtbarer Forschungsansatz erwiesen: Wiederholt konnte aufgezeigt werden, dass die zeitreihenanalytisch identifizierten Interaktionsmuster prädiktiv waren für relevante Merkmale des sozialen Systems (z.B. Stabilität von Paarbeziehungen, J.M. Gottman) oder der Individuen (kindliche Entwicklung, J. Jaffe, Entwicklung über die Lebenspanne, R. Warner). In der Psychotherapieforschung beruht die Prozessforschung bis heute stark auf der Verwendung von indirekten Massen der sozialen Interaktion, z.B. auf Einschätzung in Therapiestundenbögen. Einen komplementären Ansatz dazu stellt die Analyse der motorischen und psychophysiologischen Aktivität von KlientIn und TherapeutIn in der psychotherapeutischen Situation dar. Aus der Perspektive der Synergetik sind dabei Prozesse der Ordnungsbildung zu erwarten, die sich als Synchronisation motorischer und psychophysiologischer Parameter ausdrücken können. In dieser Arbeit werden anhand von 37 mit dem Vitaport System bezüglich motorischer Aktivität, Atmung und Herzparametern dokumentierten Stunden einer Einzelpsychotherapie die soziophysiologische Synchronisation von Klientin und Therapeutin untersucht. Die Resultate werden auf dem Hintergrund der Annahme "starker" vs. ?schwacher" Koppelung (Tschacher, 1997) diskutiert.



Andreas Liening

Selbstorganisiertes Lernen zur Vermittlung ökonomischer Bildungsbausteine

"Nihil est in intellectu, quod non fuerit prius in sensu" (John Locke) Das Zitat von Locke motiviert wirtschaftsdidaktische Fragestellungen, die derzeit in einem direkten Zusammenhang mit dem Einsatz der Neuen Medien für die Ausgestaltung von Lernprozessen gesehen werden können. Gemeint sind damit Fragestellungen, die das selbstorganisierende und kooperative Lernen thematisieren. Sie wurden in den vergangenen Jahren kontrovers diskutiert und beschreiben die Suche nach einer sinnvollen Alternative zu den traditionellen Vermittlungsmustern, die eher der Konditionierung und Sozialisation denn der Ökonomischen Bildung dienen.
Mit der Möglichkeit des Einsatzes "Neuer Medien" in Lehr-Lernprozessen hat die Erforschung derartiger Alternativen eine neue Dimensionierung erreicht.
Die neuen Medien bieten zum einen zahlreiche Möglichkeiten für die multimediale und interaktive Gestaltung und Darbietung von Lerninhalten. Zum anderen erlauben die Neuen Medien durch die Entkopplung der Lernprozesse von den Merkmalen Raum und Zeit neue Organisationsformen in der Wissensvermittlung, die sowohl synchrone als auch asynchrone Lehr-Lern-Szenarien beinhalten können. Dadurch kann nicht nur der Lehrende von der reinen Vermittlungsfunktion entlasten werden, sondern auch die Lernenden können durch selbstorganisiertes Lernen Wissen innerhalb praktischer Problemstellungen aufbauen. Gleichzeitig kann beispielsweise die Interaktion der Lernenden untereinander sowie mit dem Lehrenden intensiviert werden und damit die kooperative und soziale Dimension der Wissenskonstruktion verstärkt aufgriffen werden.

Nicht zuletzt ist zu erwarten, dass durch die inhaltliche und methodische Thematisierung der Neuen Medien diejenigen Qualifikationen ausgebildet werden, die unter dem Begriff "Medienkompetenz" zusammengefasst werden und die nicht nur für das erfolgreiche Gestalten im Berufsalltag von überragender Bedeutung sind, sondern zum Teil auch als eine neue und wichtige Kulturtechnik aufgefasst werden.

Vor diesem Hintergrund soll in diesem Vortrag die Integration der Neuen Medien in den Weiterbildungsprozess zur Vermittlung betriebswirtschaftlicher Inhalte als ein wichtiger Mosaikstein im Katalog der wirtschaftsdidaktischen Konzepte vor dem Hintergrund der Konzepte der Selbstorganisation und der Komplexen Systeme thematisiert werden.

Zu diesem Zweck soll geklärt werden, was man unter "Neuen Medien" zu verstehen hat. Im zweiten Schritt soll die historische Entwicklung des Einsatzes des Computers in Weiterbildungsprozessen skizziert werden, um den aktuellen Stand der Diskussion besser verstehen und einordnen zu können. Viele reden über "Neue Medien", aber kaum jemand weiß wirklich, was sich hinter diesem Begriff eigentlich verbirgt und kann beurteilen, welche der Neuen Technologien sich für Bildungszwecke eignen. Aus diesem Grund sollen drittens die Informatik-Grundlagen der "Neuen Medien" kritisch dargestellt werden. Viertens soll auf der Basis des vorhergehenden Kapitels ein wirtschaftsdidaktisches Konzept für die Entwicklung von Lernprogrammen mit "Neuen Medien" skizziert werden. Schließlich soll die Leistungsfähigkeit der "Neuen Medien" aus der Sicht der Didaktik der Wirtschaftswissenschaft an konkreten Beispielen erörtert und ein Ausblick gegeben werden. Hier werden z. B internetbasierte Lernwerkzeuge zur Erarbeitung von Wissen im Bereich des Rechnungswesens und die Entwicklung sowie der Einsatz von nicht-linearen, komplexen web-basierten Unternehmensplanspielen thematisiert.


Dörte Martens & Christof Nachtigall

Erklärung komplexer Gruppenphänomene in interkulturellen Lerngruppen anhand von Selbstorganisationsmodellen

In den letzten Jahren sind Selbstorganisationsansätze in der sozialwissenschaftlichen Forschung immer populärer geworden. Durch die Fokussierung der wechselseitigen Beeinflussbarkeit der einzelnen Systemkomponenten und ihrer Struktur bieten sie einen geeigneten Erklärungsansatz zur Untersuchung komplexer Gruppenphänomene.

Die Synergetik (Haken, 1987, 1990) stellt einen erfolgreichen Ansatz zur Erklärung fremdenfeindlicher Gewalt in Gruppen dar, wie Nachtigall (1998) anhand der synergetischen Theorie der Normendynamik zeigen konnte. Der Vorteil solcher Ansätze liegt in der Erklärung komplexer Phänomene unter Berücksichtigung der Systemdynamik. Anhand mathematischer Gleichungen und Computersimulationen können qualitative Aspekte über das theoretisch hergeleitete Systemverhalten analysiert werden.

Zur Erweiterung bisheriger Ansätze sollen heterogene Gruppen untersucht werden. Dazu werden Lernkontexte in interkulturellen Gruppen analysiert und im Vortrag vorgestellt.


Timo Meynhardt

Synergetik des Wertwissens in Organisationen

Der Umgang mit Unsicherheit ist eine Herausforderung für jede Organisation. An unsicheren Entscheidungspunkten entwickeln und verändern sich jene kulturellen Besonderheiten einer Organisation, die dann als Orientierungsgesichtspunkte dienen. Es handelt sich hier um emotional-motivational verankertes Wertwissen, welches dem Einzelnen oder einer Gruppe neben dem reinen Sachwissen zur Verfügung steht. Im synergetischen Denkrahmen kann dieses als Ordnungsparameter gedeutet und untersucht werden. Dieser Blickwinkel erlaubt organisationstheoretische Querverbindungen und organisationspraktische Ableitungen zur Beeinflussung des Mikro-Makro-Links. Im Vortrag werden eine Wertwissenstheorie und eine daraus begründete Erfassungsmethode anhand empirischer Ergebnisse aus Professional Service Firms vorgestellt.


Annemarie Peltzer

Multiple Asynchronie in der Selbstorganisation von Sprachen

Dieser Beitrag dokumentiert die Gipfel und Täler im chaotischen Pfad des bilingualen Spracherwerbs in der Migration. Anhand von Daten aus einer Langzeitstudie mit 100 Kindern (6-11 Jahre) wird diskutiert, welche Erwerbsprozesse die Kombination der Erstsprachen Bosnisch, Kroatisch, Serbisch und Türkisch mit Deutsch (als Zweit- und Unterrichtssprache) und Englisch (als Fremdsprache) auslöst. Als Kontrollparameter fungieren die Daten parallel untersuchter deutschsprachiger Kinder und die Ergebnisse von Stichproben in Lukavac, Bosnien, und Ankara, Türkei. Was die verschiedenen Erwerbssituationen voneinander unterscheidet, sind das Tempo und die Präzision, in dem die Phasen unterschiedlicher Stabilität von der Suche nach Kohärenz über systemspezifisches Chaos zu Stabilität und Ordnung durchlaufen werden. Fallstudien illustrieren jene Variablen, die neben neurokognitiven Faktoren für asynchrone Spurts und Sprints, aber auch für Erwerbseinbrüche, Entwicklungsverzögerung und Dominanzwechsel verantwortlich sind (die Daten wurden nach CHILDES codiert und analysiert).

Forschungsprojekt im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur (bm:bwk)


Fabian Ramseyer & Wolfgang Tschacher

Die Dynamik nonverbalen Verhaltens in dyadischen Therapiesitzungen

Verschiedene Merkmale nonverbalen Verhaltens in dyadischen Psychotherapiesitzungen wurden explorativ an einer kleinen Sub-Stichprobe analysiert, welche einem umfangreichen empirischen Datensatz entstammt.Die gewählte Vorgehensweise fokussiert auf das grobmotorische nonverbale Verhalten der Interaktionspartner im Verlauf der Therapiesitzung. Die Rohdaten liegen in Form von Video-Sequenzen vor, für welche mit zwei fix installierten Kameras entweder der Patient oder der Therapeut aufgezeichnet worden sind. Die beiden Signale sind über einen Wandler zu einem "split-screen" zusammengeführt worden, so dass jeweils von beiden Personen eine Ganzkörper-Aufnahme zur Untersuchung gelangt.
Als Analyseeinheiten wurden unterschiedliche globale Indikatoren des nonverbalen Verhaltens gewählt. Hierzu kommen zwei sich ergänzende Vorgehensweisen der automatischen Video-Analyse zur Anwendung: Motion-Tracking (Feature Tracking) und Motion-Energy-Analysis (MEA bzw. Motion History Image / MHI).Die mit diesen Verfahren gewonnenen Kennwerte werden einerseits hinsichtlich ihrer temporalen Entwicklung und Interdependenz beschrieben, andererseits sollen sie mit vorliegenden Ergebnissen zur Qualität der Therapie in Beziehung gesetzt werden. Hierbei interessiert insbesondere, ob das grobmotorische Verhalten als ein Indikator für den Therapieerfolg ermittelt werden kann.Die Datenanalyse wurde in einem ersten Schritt an einer kleinen Sub-Stichprobe erprobt und in ihrer Übertragbarkeit auf grössere Datensätze evaluiert.

Keywords: nonverbal behavior in psychotherapy, process analysis, therapeutic system, behavioral synchronisation


Christian Schubert, Stefan Weihrauch, Thilo Trump, Dietmar Fuchs & Günter Schiepek

Nichtlineare Dynamik in der Psychoneuroimmunologie

Das komplexe System aus Immunprozessen, psychosozialen Stressoren und psychischer Verarbeitung weist Merkmale nichtlinearer, instationärer Dynamik auf. Dies konnte anhand einer Einzelfallstudie bei einer Patientin mit einer als Systemischer Lupus Erythymatodes bezeichneten Autoimmunerkrankung gezeigt werden. Gemessen wurden Neopterin (Marker der zellulären Immunaktivität) und Cortisol auf der Grundlage täglicher Harnproben, sowie Stimmung, Gereiztheit und Aktivität. Veränderungen in der dynamischen Komplexität, in Recurrence Plots und in der TFD der Signale zeigten sich im Umfeld eines subjektiv bedeutsamen Lebensereignisses.


Martin Tröndle

Vom 'Etwas' zum Werk? Selbstorganisationsphänomene in der Entstehung von (Kunst-)Werken

„Wir können uns verabschieden von der Vorstellung, dass irgendeine Muse mich küsst. Dieses Polke-Bild fand ich immer gut: Höhere Wesen befahlen." (Jörg Immendorff, Maler). Werke werden meist mit stil- oder ideengeschichtlichen Erklärungsmustern beschrieben. Wie "etwas" zum Werk wird, bleibt dabei meist außen vor, da das methodische Instrumentarium der Musik- oder Kunstwissenschaft nicht greift. Man bemüht schlicht den "Künstler", das "Genie" oder gar die göttliche Eingebung, um die Werkentstehung zu erklären. In diesem Beitrag soll anhand verschiedener Beispiele (in Ton und Bild) gezeigt werden, dass zwar der Künstler das Werk "macht", doch das Werk selbst seine Ordnung ausbildet. Der Werkentstehungsprozess ist ein Selbstorganisationsprozess. Niklas Luhmann nennt dies die "Selbstprogrammierung der Kunstwerke". Es wird gezeigt, dass ein Werk eine geordnete Ganzheit ist, das eine Qualität ausgebildet hat, die nicht aus der Addition der Teile ableitbar ist. Diese sinnlich wahrnehmbare Qualität, die emergente Ordnung des Werkes gibt ihm das Gesetz seiner Organisation und damit seine Gestalt.


Wolfgang Tschacher

Kann man Kunst systemtheoretisch erklären?

Es gibt viele, sehr unterschiedliche Perspektiven zum Thema „Kunst“. Man kann das Kunstsystem als selbstreferentielles gesellschaftliches System betrachten; man kann Kunst aus ökonomischer Sicht analysieren; Kunst und Gestaltwahrnehmung; Kunst als Resultat von Kreativität; Kunst zum sublimen Ausdruck unbewusster Inhalte; Kunst als verdichtete Repräsentation von Welt; Kunst als Spezialfall von Mode und Design; Kunst als Form ohne Funktion... Kunsttheorie hat die merkwürdige Eigenart, dass alle Definitionsansätze leicht durch Gegenbeispiele widerlegt werden können. Ist es Eigenschaft von Kunst, dass sie keine Eigenschaften hat, bzw. nur Metaeigenschaften? Ist der Wunsch nach festen Kriterien einfach nur Ausdruck von Kunstbanausentum? Diesen Fragen soll in einem Vortrag nachgegangen werden, und es ist, ehrlich gesagt, noch offen, was das Ergebnis dieser Befragung sein wird. Als theoretische Methoden werden Gestaltpsychologie und Synergetik eingesetzt, die zum Konzept der Prozessgestalt geführt haben. Prozessgestalt ist definiert als durch spontane Musterbildung aus einem komplexen psychologischen System hervorgegangener makroskopischer Prozess, der auf Prägnanz hin tendiert.


Bettina Wittmund

Inanspruchnahmeverhalten von Gruppenangeboten für Angehörige psychisch Kranker: Wie kommt es, dass belastete Angehörige nicht den Weg in professionelle Unterstützungsangebote finden? 

Hintergrund Aufgrund der in zahlreichen Studien dokumentierten Belastungen von Angehörigen psychisch Kranker erscheint es verwunderlich, dass Unterstützungsprogramme von diesen nur begrenzt in Anspruch genommen werden. Ziel der vorgestellten Arbeit ist es, die Aspekte, die für die Entscheidung der Inanspruchnahme eines Angebotes relevant sind, herauszuarbeiten. Methode Partner von depressiv oder schizophren erkrankten Patienten wurden zu ihrem Entscheidungsverhalten bezogen auf ein Unterstützungsprogramm für Angehörige mittels narrativer Interviews befragt. Die Auswahl der befragten Interviewpartner und die Auswertung des qualitativen Datenmaterials erfolgte nach den Prinzipien der Grounded Theory (Strauss&Corbin) und der thematischen Feldanalyse (Fischer-Rosenthal). Ergebnisse Es konnten vier Hauptaspekte herausgearbeitet werden, die eine Teilnahme oder Nichtteilnahme wesentlich beeinflussen:
1. das Ausmaß subjektiver Belastetheit
2. das Gefühl, die Situation meistern oder nicht meistern zu können
3. positive oder negative Erwartungen an ein bestimmtes Angebot sowie
4. aktuelle Veränderungswünsche der Angehörigen.
Schlussfolgerungen: Für die Praxis zeigen die Ergebnisse, dass nur Partner mit bestimmten Belastungskonstellationen an einem Unterstützungsprogramm teilnehmen. Weiterhin scheint es Anzeichen dafür zu geben, dass mit der Verbesserung des Gesundheitszustandes des Erkrankten und/oder der Verschlechterung des Befindens des betreuenden Partners die Inanspruchnahme sinkt.


Brigitte Zellner Keller

Prosodic Styles and Personality Styles: Are the Two Interrelated?

Speaking involves the encoding of various components and speech prosody (intonation, rhythm, pauses) seems to be a major interface to coordinate these different components. Prosody itself functions as a multi-dimensional encoding system, related to a cultural environment (linguistics, sociolinguistics, stereotypes, pragmatics,emotions and personality). The "individuation" of oral language - what makes a speaker different from another - is still largely an unknown territory, especially with respect to the individual and creative use of speech prosody. Our pilot study raises fundamental, methodological and empirical issues concerning the relationship between speakers' prosodic styles and their personality profiles. Our preliminary results support the hypothesis of a relationship between prosodic styles and" personality style" as perceived by listeners.