Artikel:
Tschacher W, & Scheier C. (1995). Analyse komplexer psychologischer
Systeme. II. Verlaufsmodelle und Komplexität einer Paartherapie.
System Familie, 8, 160-171.
Zusammenfassung:
Diese Studie hat zum Ziel, eine systemorientierte Methodik zur
Modellierung von Psychotherapieverläufen am Fallbeispiel einer
systemischen Paartherapie zu demonstrieren. Dazu wurden nach der
Videoaufzeichnung psychologische Variablen und Sprechhäufigkeiten
in drei-Minuten-Epochen geratet bzw. erhoben. Die Dynamik wird
auf Vorhersagbarkeit und Komplexität geprüft, wobei statistische
Tests mit Surrogatdaten verwendet werden. Weiterhin wird das Wirkungsgefüge
der acht erhobenen Ratingvariablen linear mit der Zustandsraummethodik
approximiert. Die Modelle werden für den Gesamtverlauf über sieben
Sitzungen hinweg, sowie über die Phasen vor und nach der effizienten
Intervention gerechnet. Wir finden folgende Ergebnisse: die serielle
Ordnung der Ratingvariablen kann als überzufällig angesehen werden;
die Abfolge der Sprechhäufigkeiten ist dagegen weitgehend zufällig.
Als Problemkonstellation finden wir im Modell eine symmetrische
Eskalation des Paares (die Spannungen der Partner heizen sich
wechselseitig an). Es zeigt sich weiterhin, dass die Komplexität
in der Postphase signifikant abnimmt, d.h. die Ordnung der Therapiedynamik
steigt. Die Intervention bewirkt, dass die Problemgestalt "symmetrische
Eskalation" in eine Hülle weiterer Interaktionen eingebettet wird
und sich das Befinden der Klienten so verbessern kann. Die Lösungsgestalt
trägt damit den Keim des Problems weiter in sich. Abschliessend
diskutieren wir die Verallgemeinerbarkeit dieses Ergebnisses sowie
des Befundes der Ordnungszunahme (Selbstorganisation) im Therapiesystem.
The same abstract in English: Analysis of complex psychological
systems. II. Dynamical models and complexity in a couples therapy
We analyzed the course of a systemic couples therapy to demonstrate
methods of modelling the dynamics of psychotherapy. Psychological
variables and frequencies of speech were coded from video recordings
in 3-minute intervals. We computed the forecastability and complexity
of the time series using bootstrap tests with surrogate data sets.
We also estimated the time-lagged links between the 8 rating variables
by multivariate state space models. Modelling was applied over
the entire course of 7 therapy sessions and over the phases prior
to and after the intervention which was assumed to be effective
in this therapy system. This yielded the following results: the
serial order of ratings is non-random whereas the sequence of
speech frequencies is random in most cases. As the problem constellation
we find the symmetric escalation of tension in the couple (one
spouse's tension tends to increase the other's tension). Furthermore,
the complexity of time evolutions is generally lower in the post
phase after the intervention, i.e. the order of therapy dynamics
increases. From the pre and post intervention models we conclude
that the intervention embeds the problem gestalt "symmetric escalation"
in a series of additional interactions. The solution thus seems
to carry the kernel of the problem with it. Finally, we discuss
the generalizability of this result and of the finding of an increased
order (self-organization) of the therapy system.
Hintergrundinformation zum Diagonallesen:
Brunner EJ, Tschacher W, Quast C, & Ruff A. (1997). Veränderungsprozesse
in Paarbeziehungen. Eine empirische Studie aus der Sicht der Selbstorganisationstheorie.
in: Schiepek G, & Tschacher W, Selbstorganisation in Psychologie
und Psychiatrie, (pp. 221-234). Braunschweig: Vieweg.
Brunner EJ, & Lenz G. (1993). Was veranlasst ein Klientensystem
zu sprunghaften Veränderungen? System Familie, 6, 1-9.